Die Gesellschaft, in der wir leben, wird immer älter. Die Pflege eines engen Familienmitglieds oder geliebten Menschen ist eine Herausforderung, der sich so immer mehr Menschen stellen müssen. Einer der häufigsten und verheerendsten Gründe dafür ist eine Erkrankung an Demenz oder Alzheimer. Was tun, wenn die eigene Mutter nicht mehr alleine zurechtkommt? Wie reagieren, wenn der eigene Vater einen nicht mehr erkennt? Florian Zeller hat in seinem Regiedebüt versucht, einen unverstellten Blick auf diese Fragen zu werfen.

von Marius Ochs

In den USA ist „The Father“ schon länger verfügbar. Der Film wurde dort mit Preisen überhäuft, unter anderem zwei Oscars. Einen davon gab es in der Kategorie Bestes adaptiertes Drehbuch, denn „The Father“ liegt ein Theaterstück zugrunde.  Das merkt man dem Film auch an vielen Stellen an. Und das ist positiv gemeint: Dem Set und den Kostümen wurde eigenes Leben eingehaucht. So wird beispielsweise die Wohnung zum atmenden Charakter, übernimmt quasi eine Hauptrolle. Gleichzeitig bleibt der Cast klein, was die einzelnen Leistungen umso tiefgründiger macht.

Diese eingeengte Kammerspielatmosphäre geht mit der brillanten Geschichte eine Symbiose ein, die zeigt, dass Zeller schon bei seinem Debütfilm die Möglichkeiten der Lichtspieltechnik verstanden hat, wie kaum ein anderer. Dabei klingt der Plot simpel, man kann ihn in einem Satz zusammenfassen: Ein Demenzkranker, der von seiner Tochter gepflegt wird, verliert immer mehr den Kontakt zur Realität.Dass diese unspektakulär klingende Handlung so mitreißend, spannend und tieftraurig ist, hat viel mit der Kategorie der zweiten oscarprämierte Leistung von „The Father“ zu tun: Bester Hauptdarsteller. Anthony Hopkins spielt den Demenzkranken sprunghaft und selbstvergessen. Angsteinflößend, wie er nach einer völlig von sich selbst überzeugten Geste unvermittelt mit seinen Augen in diesem nebligen Zwischenraum verschwindet, der den Alten zu eigen ist, nur um dann kurz darauf mit einem veränderten, verwirrten und Verständnis heuchelnden Gesichtsausdruck wieder aufzutauchen.  Sein Charakter versucht, die Rolle des Gesunden weiterzuspielen.

Da Hopkins die meisten Szenen dominiert und auch in fast jeder Einstellung ist, kann man leicht vergessen, dass zu einem gelungenen Kammerspiel mehr als nur ein einzelner genialer Darsteller gehört. Olivia Colman (The Favourite), die seine Tochter spielt, liefert ebenfalls die Performance ihres Lebens ab. Wie beide miteinander umgehen, entfremdet und sanft, lässt den Kinosaal mit Sicherheit gemeinsam in aufrichtige Tränen ausbrechen. So schafft „The Father“ immer wieder emotional schwer auszuhaltende Momente. Das Faszinierende daran: Eigentlich ist der Film ein Psycho-Thriller. Durch die Erzählperspektive und die Art und Weise wie sich die Puzzlestücke der Handlung immer mehr zusammensetzen, hält sich Florian Zeller fern von Demenz-Kitsch á la Til Schweigers „Honig im Kopf“ und erfindet eine ganz eigene cineastische Ausdruckweise.

Fazit

Die Erkrankung von Anthony Hopkins Charakter wird bei „The Father“ in eine eigene filmische Sprache übersetzt. Ästhetik und Handlung verbinden sich und bilden so ein fesselndes Ganzes, das echte Emotionen weckt. Regisseur Florian Zeller hat keinen kitschigen, keinen emotional manipulativen Film gedreht – sondern schlicht den besten Demenz-Film, der jemals auf den Leinwänden zu sehen war. Ab dem 26. August im Kino!

Bewertung

Bewertung: 9 von 10.

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Bilder: ©Sony / Tobis